Strom tanken an der Straßenlaterne – geht das?
20.05.2022
Mit dem Elektroauto an der öffentliche Ladesäule Schlange stehen – das Problem könnte bald gelöst sein: mit der Nutzung von Straßenlaternen. Wie funktioniert das?
Das Angebot an öffentlichen Ladepunkten hinkt der Nachfrage teils noch hinterher. Zudem ist der Standort abhängig von der Auslastung: Wer zu Hause oder in der Arbeit keine Möglichkeit zum Nachladen hat, muss extra zum Aufladen fahren und dafür teilweise noch Gebühren bezahlen, durch die die Installation der Ladesäulen umgelegt wird. Knut Hechtfischer und Frank Pawlitschek, die beiden Gründer von ubitricity, denken anders.
Ihr Konzept verrät bereits der Name des Unternehmens: „ubi“ steht für ubiquitär, beziehungsweise überall, und „tricity“ kommt von electricity, also Strom überall. Strom überall – die Vision der ubitricity-Macher ist eine flächendeckende Ladeinfrastruktur, Ladestationen gleichmäßig in der ganzen Stadt verteilt. Um das unkompliziert und ohne großen Kostenaufwand möglich zu machen, schlagen sie vor, bereits vorhandene Stromabnehmer wie beispielsweise Straßenlaternen als Stromlieferanten zu nutzen.
„Es geht darum, dass Autos überall ans Netz kommen müssen. Und wir meinen, die sinnvollste Möglichkeit, dies auch bezahlbar zu machen, ist, das zu nutzen, was schon da ist. In unserem Fall können das auch die Laternen sein“, erklärt Alexa Thiele, Head of Marketing Communications bei ubitricity. In London wurden aktuell bereits 200 Ladepunkte installiert – die Tendenz deutlich steigend. Auch in Berlin wurden schon die ersten 30 Laternen umgerüstet, seit 2022 dienen bis zu 1000 Laternen in der Hauptstadt als Ladesäulen. Auf diese Weise soll in einer Stadt, in der kaum ein Autofahrer einen eigenen Stellplatz und damit keine Möglichkeit für eine eigene Wallbox hat, eine öffentliche Ladeinfrastruktur geschaffen werden.
"Die sinnvollste Möglichkeit, dies auch bezahlbar zu machen, ist, das zu nutzen, was schon da ist. In unserem Fall können das auch die Laternen sein."
- ALEXA THIELE, UBITRICITY
Ladepunkte, auf das Wesentliche reduziert
Damit das in der Praxis überhaupt umsetzbar ist, hat das Unternehmen Ladepunkte entwickelt, die technisch auf das Wesentliche reduziert sind. Es gibt sie in verschiedenen Installationsvarianten – zum Anbringen an die Wand, freistehend als Poller oder eben integriert in einen Lichtmast – und sind somit nicht nur platzsparend, sondern sind in Anschaffung und im Betrieb um 90 Prozent günstiger als herkömmliche Ladestationen.
Da die sogenannten SimpleSockets von ubitricity ohne viel Schnickschnack auskommen, genauer gesagt ohne Stromzähler und Kommunikationstechnik, lassen sie sich in Kooperation mit der Stadt bzw. der Kommune recht einfach im öffentlichen Raum bereitstellen. So können E-Mobilisten zum einen unterwegs schnell nachladen. Und zum anderen können alle ohne eigenen Stellplatz einfach und günstig Strom tanken, im Idealfall sogar schon bald an jeder Ecke.
Wie wird der Strom gezählt und abgerechnet?
Auch für die Abrechnung haben die Köpfe hinter ubitricity eine Lösung gefunden, die zwei Fliegen, besser gesagt drei, mit einer Klappe schlägt: das intelligente Ladekabel mit mobilem Stromzähler. Es heißt SmartCable und beinhaltet die zur Abrechnung nötige Technologie, der Fahrzeughalter muss dafür nicht viel tun: einfach das Kabel am Ladepunkt einstecken, abschließen und gehen. Den Rest macht das Kabel.
Und das funktioniert so: Wird das E-Fahrzeug mit dem SmartCable an einem Ladepunkt von ubitricity angeschlossen, identifiziert sich das Kabel automatisch – die Voraussetzung für eine sichere Abrechnung. Der eingebaute geeichte Stromzähler registriert die genaue Menge der gezapften Energie und übermittelt die Daten via Mobilfunk an das Unternehmen, das dem Nutzer am Ende des Monats eine exakte Rechnung über den von ihm verbrauchten Strom schickt. Das Kabel bietet noch einen weiteren Vorteil: Nutzer können den Stromanbieter selbst aussuchen, auch wenn sie nicht zu Hause laden. Das SmartCable macht es möglich, direkt für das Ladekabel einen Stromvertrag abzuschließen. So wählen Kunden auch beim öffentlichen Laden selbst den Anbieter nebst Stromtarif und erhalten Kostentransparenz.
"Die Autos sind sozusagen rollende Akkus. Immer, wenn sie stehen, müssen sie bereit sein, Wind- und Solarenergie zu tanken."
- ALEXA THIELE, UBITRICITY
„Wer für intelligente Anwendungen an das Netz heran will, braucht eine IP-Adresse für jedes Auto und eine energiewirtschaftliche Adresse, also eine Zählernummer, ähnlich wie für den Strom zu Hause,“ so Alexa Thiele. Der Grundstein für eine E-Mobilität, die sich hoffentlich bald jeder leisten kann: „Erst dann kann man Tarife und Geschäftsmodelle entwickeln und damit letztendlich die Elektromobilität preiswert machen. Wir sehen die Elektromobilität untrennbar mit der Energiewende verbunden. Sie hilft, Wind- und Solarenergie besser zu puffern. Die Autos sind sozusagen rollende Akkus. Immer, wenn sie stehen, muss es möglich sein, das Elektroauto z.B. mit Photovoltaik aufzuladen.“
Das smarte Kabel bewährt sich auch da, wo mehrere E-Fahrzeughalter ein und denselben Ladepunkt zum Aufladen benutzen, sei es in Mehrfamilienhäuser oder als einfache Abrechnungslösung für den elektrischen Firmenfuhrpark. Jeder bringt seinen eigenen Stromzähler mit und bezahlt auch nur den Strom, den er verfährt bzw. wird er exakt auf seine Rechnung verbucht, bei Firmenwagen auf die Kostenstelle des Unternehmens.
Das Auto als Teil des intelligenten Stromnetzes
Mit Hilfe des SmartCable könnte das Elektroauto künftig sogar als Energiespeicher dienen und so Teil des intelligenten Stromnetzes werden – der nächste Schritt in die Zukunft der E-Mobilität. Mit dem mobilen Zähler kann nicht nur die geladene Energie gemessen werden, sondern auch die, die wieder abgegeben wird. Diesen Posten könnte dann den Kunden auf der monatlichen Abrechnung gutgeschrieben werden. „Technisch wäre das heute schon möglich, doch leider vom Gesetzgeber noch nicht vorgesehen“, erklärt Alexa Thiele. Im Moment hat ubitricity gut 1.000 Straßenlaternen umgerüstet, in Deutschland vor allem in Berlin und in einigen Städten im Ruhrgebiet. Bis das einfache Laternen-Laden überall möglich ist, müssen wir uns aber wohl noch eine Weile in Geduld üben.